Gleich zu Beginn des Bekanntwerdens des infektiösen und für manche
auch gefährlichen Virus gab es drei Gruppen von Menschen: erstens die eher
ängstlich, vorsichtigen MahnerInnen und AlarmistInnen (im motivationalen
Abwendungsmodus), zweitens die optimistisch Zuversichtlichen und
Verharmlosenden (motivationalen Annäherungsmodus) und drittens die
vertrauensvoll abwartend Beobachtenden im motivationalen Kohärenzmodus (s. Post
vom 27.4.2020).
Besonders die beiden ersten Gruppen polarisierten sich
scheinbar immer stärker. In Wirklichkeit allerdings entpuppten sich manche der BerufsoptimistInnen
zu MahnerInnen und dann teilten diese sich in zwei konträre Lager: die einen
warnten vor der tödlichen Gefahr des Virus, die anderen vor der politischen
Gefahr des totalitären Kontrollsystems. Aus neuropsychologischer Sicht waren
und sind beide Lager letztlich in einer Angstblase, einer Angina mentalis,
gefangen. Soweit sie in einen Rechthabestreit eingestiegen sind, kommunizieren sie
im Macht-Opfer-Dreiecks-Beziehungsmuster (s. Post vom 27.4.20).
Was machen Menschen im Kohärenzmodus?
Was macht die dritte Gruppe, die vertrauensvoll abwartend
Beobachtenden? Sie können sowohl die Mahner als auch die Zuversichtlichen
wertschätzen. Sie steigen aber nicht in den Rechthabestreit ein, denn dann
würden sie ihren Kohärenzmodus verlassen und in eine abwendungsmotivierte Kommunikation
geraten, die sich wechselseitig hochschaukelt und nicht mehr alle wichtigen Realitäten
sehen und abwägen kann.
Sie freuen sich über den klaren Himmel und die bessere Luft
durch den Shutdown – über die kurgleiche Wohltat für die Atmosphäre und Biosphäre.
Die Biosphäre atmet auf und durch – und die Menschen im Kohärenzmodus atmen mit
ihr Luft und Licht.
Allerdings beobachten sie auch, wie unterschiedlich die
Corona-Krise erlebt wird. Für manche Menschen ist das Corona-Virus eine
Bedrohung, für andere eine natürliche Sterbehilfe, für andere eine Erkältung,
für viele sind die wirtschaftlichen Folgen bedrohlich, und die Kontaktsperren
und anderen Auflagen sowie die Panikmache sind emotionale und politische
Herausforderungen. Für alle ist es eine Übung, mit neuen, ungewissen und
womöglich bedrohlichen Bedingungen und Aussichten zurechtzukommen. Für fast
alle ändert sich irgendetwas Bedeutsames – eine Musterunterbrechung des
Alltagslebens weltweit.
Die Menschen der dritten Gruppe haben sowohl Vertrauen in das
Immunsystem der Menschen als auch in deren Vernunft, die sich womöglich erst
nachhaltig zeigt. Angesichts des Nicht-Wissens über die wirkliche
Gefährlichkeit der Infektion zeigen sie eine gewisse Rücksicht und Vorsicht in
Bezug auf Mitmenschen.
Sie wissen, dass die Medien in ihrem Konkurrenzkampf um die
Aufmerksamkeit der BürgerInnen vor allem Horrorszenarien und Gefahrenmeldungen
präsentieren. Vernünftige, abwägende Ansichten kommen immer erst nach einer
gewissen Zeit nach einem gesellschaftlich bedrohlichen Ereignis in die Medien (aus
meiner Beobachtung frühestens etwa zwei Wochen).
Musterunterbrechungen
Weltweit und fast gleichzeitig werden die meisten Menschen
im Corona-Frühling aus ihrem normalen Alltagstrott rausgerissen. Ihr normales
Leben war bis dahin weitestgehend von ökonomischen Bedingungen oft mit Beschleunigung
bestimmt. Die Musterunterbrechungen im Corona-Frühling bringen mehr und auch
etwas anderes als eine Entschleunigung für viele – für manche allerdings auch
das Gegenteil. Hier lohnt es sich genau hinzuschauen, denn in der Unterbrechung
alltäglicher Verhaltensmuster liegt eine große Chance für Neuanfänge für die
Zukunft, für ein kreatives Mitgestalten eines guten Lebens.
Mit Innehalten und einem Annehmen dieser gegebenen Musterunterbrechung
und uns Zeit nehmen können wir Gelassenheit entfalten und unseren inneren
Beobachter aktivieren (in den Kohärenzmodus kommen). Endlich mal Zeit haben,
die nicht verplant ist. Plötzlich alle Termine abgesagt. Geschenkte
Corona-Frühlingszeit und frische Luft, klares Sonnenlicht und kräftig
leuchtende Farben in der Natur als Folge des Lockdowns. Maja Göpel spricht im
Stern-Interview von einem „Zeitwohlstand“. Wozu kann uns diese Zeit dienen?
Viele haben aufgeräumt. Viele sind kreativ geworden. Sehr
vielen ist immer bewusster geworden: Alle Menschen auf dieser Erde sind vom
selben Virus betroffen. Die globale Verbundenheit wurde immer deutlicher auch
fühlbar. Zwar oft erst im Leiden unter Virus-Infektionen und unter den
wirtschaftlichen Folgen. Aber zunehmend auch in den positiven Möglichkeiten:
der Wohltat für die Atmosphäre und Biosphäre, der Besinnung auf neue Werte des
Mensch-Seins, eines bewussteren Umgangs mit sozialen Kontakten wie auch mit dem
Sterben, der gegenseitigen Hilfe bei autonomer Entfaltung auch in nationalen
Notsituationen u.a.m.
Was kommt nach dem Aufwachen im Corona-Frühling?
Alle diese Wünsche und Tendenzen gab es auch schon vor dem
Corona-Frühling – aber sie hatten wohl noch ihren Winterschlaf. Mit Corona
haben sie im Frühling die Erdkruste durchbrochen und sind gekeimt. Mit Hilfe
der Angst vor Corona-Infektionen, vor möglichen Fehlentscheidungen und vor einem
„Kollaps des Gesundheitssystems“ haben die Regierungen Möglichkeiten zur
Musterunterbrechung geschaffen und aufgezeigt, die im Winter kaum denkbar
waren. Neue Werte jenseits der Ökonomie fanden Raum zur Diskussion, wie z.B.
die Wertschätzung besonders systemrelevanter sozialer Berufe, die Bedeutung von
Autonomie im Leben und Sterben, von Freiheit und gemeinsamem Spiel für Kinder
und Jugendliche und anderes mehr.
Jetzt hat der Sommer begonnen. Noch wächst die Saat und es
ist zu früh, von einer Ernte zu sprechen. An der Oberfläche sichtbar sind viele
– auch widerstreitende – Interessengruppen, die etwas ernten wollen – viele
ökonomisch, ideologisch oder politisch.
In der Tiefe ist die Hoffnung da, dass da schon etwas an
Bewusstsein im Zeitwohlstand gewachsen ist und noch weiter wächst, das sich in
achtsamer Verbundenheit sowohl mit den nächsten Mitmenschen, als auch mit allen
Menschen weltweit und der Biosphäre entfaltet. Ein neues Bewusstsein über Mensch-Sein
in Vertrauen, Kokreativität und Weitsicht, das unser Kooperieren mit unseren
PartnerInnen im Alltag sowie auch mit Regierungen weltweit in Zukunft leiten
soll.
Wenn diese zarten und zahlreichen menschlichen Pflanzen sich
weiter entfalten, könnten wir sagen, dass wir mit Corona und den politischen
Maßnahmen daraus etwas gelernt haben, was unser Leben in Zukunft in dieser
Biosphäre besser machen kann. Auch wenn es bis zur Ernte möglicherweise mehr
Zeit braucht als nur bis zu diesem Herbst. Die Samen werden über Winter verstreut
und im nächsten Frühjahr vermehrt aufgehen.
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