Dienstag, 30. April 2019

Eine bessere Kooperation durch Ärger?

In einer Forschungs-Arbeitsgruppe habe nicht nur ich mich wiederholt geärgert. Anlass war das Vorgehen des Versammlungsleiters, der auch das Protokoll anfertigte. Manchmal überhörte bzw. überging er Beiträge, die nicht in sein Konzept passten. Vielleicht hatte er sie akustisch nicht verstanden, vielleicht inhaltlich nicht, vielleicht hat er sie verstanden, aber sie gefielen ihm nicht. So wurden diese im Fortgang der AG nicht gebührend berücksichtigt und waren dann auch im Protokoll nicht zu finden. Einige Male sogar auch dann nicht, wenn von der ganzen Gruppe eine Entscheidung getroffen wurde. Bei einem Kollegen machte sich sein Ärger sehr laut und deutlich in einer Kritik Luft. Diese führte aber leider nur zu einem persönlichen Streit, der mit dem Ausscheiden des Kollegen aus der AG führte. Auch bei mir staute sich Ärger an. So habe ich jeweils an konkreten Punkten, wie z.B. dem unvollständigen Protokoll meinen Wunsch geäußert, dass alle Beschlüsse darin erwähnt werden, auch die, die ihm vielleicht nicht gefallen. Weiter habe ich bei mir wichtigen Punkten in der Gruppe explizit um Rückmeldungen dazu gebeten und es nicht akzeptiert, wenn die Leitnug einfach darüber weggegangen ist.
Zwar konnte die Gruppenleitung ihre Teamfähigkeit und Aufnahmekapazität nicht groß ändern, aber mit einer reduzierten Erwartung an die Leitung und stärkerem Beharren auf Eingehen auf andere Vorschläge konnte die Kooperation in der AG besser gelingen und der Ärger war verflogen… Offenbar brauchte die Leitung Hilfe bei Ausführen ihrer Rolle, die sie selbst aber nicht formuliert hat.

Ärger als Anzeigegefühl für das Bedürfnis nach Kooperation

Ärger ist offenbar ein Anzeigegefühl für ein frustriertes Bedürfnis nach Kooperation. Michael Tomasello hat bei seinen Grundlagenforschungen zur menschlichen Kooperation schon bei Kindern beobachtet, dass diese ärgerlich wurden, wenn die Bezugspersonen auf ihr Kooperationsangebot nicht eingegangen sind und dies ignoriert haben (2010). Wenn die Bezugspersonen den Ärger richtig verstanden haben (meist implizit), haben sie sich dem Kind zugewandt und sind auf seine Angebote und Fähigkeiten eingegangen. Dann hat der Ärger als Ausdruck des Wunsches nach einer besseren Kooperation geholfen, diese herzustellen. Ärger ist wie andere Emotionen auch ein nonverbaler Ausdruck eines (frustrierten) Bedürfnisses. In der Sprachwelt der Erwachsenen wird dies allerdings häufig nicht (mehr) verstanden.

Den Wunsch nach besserer Kooperation verbal ausdrücken

Dann können wir durch eine verbale Äußerung unserem Bedürfnis Beachtung verschaffen, indem wir z.B. sagen: „Ich wünsche mir, dass du auf meinen Beitrag eingehst.“ Oder: „Ich würde gerne die Rolle xy in unserer Kooperation übernehmen. Wäre das ok für dich (bzw. Euch)?“
So ist es hilfreich, die Funktion von Emotionen wie Ärger als nonverbale (auch kindliche) Äußerungen von Bedürfnissen zu verstehen. Dann können wir beim Aufkommen von Ärger möglichst bald unseren Wunsch nach einer besseren Kooperation kommunizieren, anstatt unserem Kooperationspartner Vorwürfe zu machen.
Tomasello hat bei kleinen Kindern ab dem Alter von 9-12 Monaten schon das spontane Auftreten von Kooperation um Drittes, zu dem sie also keinen eigenen Bezug hatten, beobachtet. Dabei konnte er vier Eigenschaften feststellen, die diese Kooperation der Kinder immer wieder zeigten, ohne dass sie dazu aufgefordert oder dafür belohnt wurden. Diese vier Eigenschaften scheinen demnach angeboren zu sein und mit einer Erwartung an zwischenmenschliche kooperative Beziehung verknüpft zu sein. Diese vier Kriterien von partnerschaftlicher menschlicher Kooperation sind:
1.      Kooperationspartner gehen aufeinander ein.
2.      Sie haben ein gemeinsames Ziel (Attraktor), eine gemeinsame Intentionalität.
3.      Sie stimmen ihre unterschiedlichen Rollen miteinander ab.
4.      Sie helfen sich gegenseitig, wenn einer Hilfe braucht. 
Wenn eines dieser Kriterien vom Kooperationspartner nicht erfüllt ist, kommt Ärger auf, gewissermaßen als Rückmeldung, dass die Kooperation nicht so ist, wie man sie sich gewünscht hat. Spätestens dann wird es für einen der Sprache mächtigen Erwachsenen Zeit, seinen Wunsch verbal zu formulieren. Auf diese Weise kann der bewusste Umgang mit Ärger als Anzeigelampe helfen, die Kooperation zu verbessern – wenn wir dies Bedürfnis angemessen als Bitte, Wunsch oder Ähnliches differenziert kommunizieren.

Vom Ärger zum Gefühl der Ohnmacht

Wenn wir dagegen aber unseren Ärger ‚runterschlucken‘, weil wir uns abgelehnt und ohnmächtig fühlen, kann sich das gegen uns selbst richten, und dazu führen, dass wir uns als Opfer fühlen. Auf jeden Fall verbessert es die Kooperation nicht, und wir leben weiterhin im Frust. Wenn wir dann aus diesem Gefühl der Ohnmacht oder Hilflosigkeit dem Gegenüber Vorwürfe machen, ihn kritisieren, gibt es häufig eine Eskalation der Vorwürfe und eine Verschlechterung der Kooperation oder ein Ende. Ein Gefühl von Ohnmacht und/oder Vorwürfe zeigt an, dass das Beziehungsmuster des Opferdreiecks getriggert ist. Dieses Beziehungsmuster ist das Haupthindernis für kokreative partnerschaftliche Kooperation. In dieser Gefühlslage ist es besonders schwierig, wieder in eine kreative Kooperation zu finden.
Wie wir diese Opfer-Dreiecks-Dynamik lösen und in eine gelingende Kooperation kommen können, wird das Thema vom nächsten Post sein.

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